"Die Liebe in den Bergen – Eine Romanze aus Maria Kirchental"
- Kirchentaler-Berggeist
- 17. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Ein Liebesroman aus dem späten 18. Jahrhundert
Im Sommer des Jahres 1786, als die Almen saftig grünten, die Glocken der Wallfahrtskirche Maria Kirchental sanft durchs Tal klangen und der Himmel über dem Pinzgau in hellem Blau erstrahlte, trug sich hier oben eine Geschichte zu, die bis heute in den Herzen der Menschen weiterlebt.
Es war zur Zeit der späten Maiandachten, als der junge Jakob Lechner, Sohn eines angesehenen Leinenwebers aus Lofer, zum ersten Mal die steilen Pilgerstufen zur Kirche emporstieg. Nicht aus Buße oder frommem Gelübde war er gekommen, sondern um seinem Vater bei der Ablieferung neuer Leinwände für das Rektorat zu helfen. Er ahnte nicht, dass dieser Aufstieg der Beginn eines Herzensweges war, der sein ganzes Leben verändern sollte.

Denn dort, unter der alten Linde neben dem Kirchhof, stand sie: Anna-Maria von Prechtl, Tochter eines bayerischen Gläserzeugers aus Reit im Winkl. Mit ihren schimmernden blonden Locken und dem fein verzierten Gebetbuch in den Händen wirkte sie wie ein Bildnis aus einer anderen Welt. Sie war mit ihrer Mutter zur Maiandacht gereist, einer alten Familientradition folgend.
Ein Blick nur, und Jakob wusste, dass er ihr wieder begegnen musste. Und so kam es, dass die beiden sich immer wieder trafen: heimlich, leise, unter dem Schutz der Berge, bei Sonnenaufgang an der kleinen Grotte hinter der Kirche oder beim sonntäglichen Gottesdienst, stets mit einem verstohlenen Lächeln.
Doch die Liebe zwischen einem einfachen Handwerkersohn aus dem Pinzgau und einer Tochter eines wohlhabenden bayerischen Hauses war nicht vorgesehen. Die Zeiten waren unruhig – der Tod des alten Kaisers hatte die Grenzen neu aufgewirbelt, und beide Familien hegten tief verwurzelte Vorurteile gegeneinander.
Jakob und Anna-Maria jedoch glaubten an ihre Liebe. Wochen vergingen, Briefe wurden unter der Bank in der Kirche getauscht, kleine Geschenke unter dem Bildstock versteckt. Als ein strenger Winter heranbrach und die Grenze unpassierbar wurde, riss der Kontakt ab.
Erst im darauffolgenden Jahr, im Juni 1787, standen sie sich wieder gegenüber. Er hatte ein hölzernes Marterl geschnitzt und es ihr still vor die Kirche gelegt. Sie erkannte es sofort. Tränen über ihre Wangen rinnend, fiel sie ihm in die Arme.

Und dann geschah es: Während die Glocken zur Messe riefen, erschien ein großes Licht hinter dem Hochaltar. Eine Stimme, von keinem Menschen ausgesprochen, füllte den Raum: "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen."
Die wenigen Anwesenden, darunter ein alter Mesner, ein Pilger aus dem Lungau und eine Schwester aus dem Kloster in Riedenburg, wurden Zeugen dieses Wunders. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den umliegenden Dörfern.
Doch das Wunder allein konnte die Widerstände nicht brechen. Die Familien blieben hart. Anna-Maria wurde zur Großtante nach Traunstein geschickt, Jakob zum Militärdienst eingezogen. Fünf lange Jahre gingen ins Land.
Die Jahre der Trennung waren von Briefen erfüllt, die nie beantwortet wurden, von Gerüchten, die Hoffnung weckten oder zerstörten. Jakob wurde nach Wien beordert, wo er im Auftrag des Kaisers an Möbelstücken für ein kaiserliches Palais arbeitete. Dort wuchs nicht nur sein handwerkliches Können, sondern auch sein Ruf. Anna-Maria hingegen wurde zur stummen Rebellin – sie schrieb Gedichte, vergrub sich in Büchern und wandte sich gegen jede Anbahnung einer standesgemäßen Verbindung.
Im Frühjahr 1792 nahm sie all ihren Mut zusammen. Mit einem kleinen Beutel Habseligkeiten machte sie sich heimlich auf den Weg über die Alpen – zu Fuß, allein, mit nichts als der Hoffnung, Jakob in Maria Kirchental zu finden. Tagelang irrte sie durch den Tauern, bis sie erschöpft und frierend an der Schwelle des Wallfahrtsgasthofs zusammenbrach. Der Wirt erkannte sie – denn auch Jakob war wenige Tage zuvor eingetroffen.

Was dann geschah, ging wie ein neuerliches Wunder durch das Tal: Jakob, der gerade in der Kirche betete, spürte einen Luftzug, drehte sich um – und sah sie. Schwankend, erschöpft, und schöner denn je. Es war, als hielte die Zeit den Atem an.
Die Kirche in goldener Frühsommersonne: Anna-Maria tritt zögerlich auf Jakob zu, der mit zitternden Händen auf sie wartet. Die Szene ist getränkt von Licht, Hoffnung und der Sehnsucht zweier Herzen, die nie aufgehört haben zu lieben.
Doch noch war das Glück nicht besiegelt. Der Vater von Anna-Maria hatte in der Zwischenzeit erfahren, dass seine Tochter verschwunden war. Mit einer Handvoll Knechten folgte er ihr bis nach Kirchental. Als er sie dort mit Jakob sah, zog er wortlos seinen Degen und verlangte Genugtuung.
Es war der alte Mesner, derselbe, der einst das Lichtwunder miterlebt hatte, der sich dazwischenwarf. Mit Tränen in den Augen berichtete er von jener Erscheinung – und dem Satz, der in seinem Herzen nachhallte: "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen."

Der Vater, erschüttert und tief bewegt, ließ den Degen sinken. Und endlich – endlich – wurde aus Stolz Einsicht. Ein Versöhnungstreffen im Rektorat folgte, bei dem auch die Lechners aus Lofer anwesend waren. Zwei Familien, die einst nichts als Misstrauen verband, saßen beieinander und reichten sich die Hände.
Ein letzter Abschied, ein stiller Moment: Anna-Maria blickt Jakob nach, der mit seinem Wanderstock langsam den steilen Pfad zur Kirche hinaufsteigt. Sie steht im Schatten der Bäume, ihr Gesicht im Zwielicht der Entscheidung – wissend, dass dieses Mal alles anders werden wird.
Am 24. Juni 1792, dem Fest Johannes des Täufers, heirateten Jakob Lechner und Anna-Maria von Prechtl in der Wallfahrtskirche Maria Kirchental. Die Glocken läuteten stundenlang, die Bänke waren überfüllt. Eine Prozession führte von der Kirche zum Gasthof, wo unter einer Linde das große Hochzeitsmahl bereitet war.
Drei Tage und Nächte wurde gefeiert. Musiker aus Zell am See, Tänzer aus dem Berchtesgadener Land, sogar ein Bänkelsänger aus Salzburg fanden sich ein. Es wurde gesungen, getanzt, gebetet und gelacht. Die Liebe, die einst heimlich begann, wurde zur Legende.

Und seither treffen sich jedes Jahr im Frühsommer die Nachfahren beider Familien in Maria Kirchental. Sie feiern gemeinsam den Gottesdienst, hören das Lied vom Licht hinter dem Altar, und stoßen anschließend im Wirtshaus auf die Kraft der Liebe an – die selbst in Zeiten der Dunkelheit leuchtet.
Ende
Kommentare